nachtplan   - Nr. 79 -    



Neulich habe ich mir eine Wiederholung des ersten "Robocop" Films aus den 80ern angeschaut und war beeindruckt, wie detailreich siffig und kaputt man die Schauplätze in dieser Zukunftsvision arrangierte. 25 Jahre später war Detroit dann leider wirklich ähnlich heruntergekommen und eine Besserung ist kaum in Sicht. Keine Bange, ich erspare uns hier Spekulationen, ob Krisen vielleicht Kreativität fördern und beschränke mich auf reine Beobachtungen. 
Für alternative Musik, im speziellen für Techno-House, wurde die Stadt spätestens durch die Marke `Underground Resistance´ bestens bekannt. Seit ein paar Jahren ist Detroit aber auch bei Kennern von Post Punk und Synthwave im Gespräch. Die Namen Dennis Hudson und Dante Palomba stehen da ganz oben auf der Geheimtippskala. Zwei junge Männer mit getrennten Projekten, die außer dem Wohnort und der musikalischen Ausrichtung noch etwas viel wichtigeres gemein haben: enormes Talent. Beide ersinnen nicht lange Musik, sie machen sie einfach - aus dem Bauch heraus -  und sie haben es, das richtige Feeling. 
Neu bei ihnen klingt das Mastering. Zum massiven Komprimieren laden Gerätschaften aktueller Bauweise ja auch ein. Bei Klangspitzen kann das schon einmal zerren, dass Hi-Fi Freunde vielleicht vor lauter Schreck aus ihren Hörsesseln fallen. Aber betrachten wir das doch auch mal retromäßig, Bands wie The Human League und New Order waren auch ganz am Anfang am besten, nur mit dem was ihre ersten Geräte konnten und hergaben, aber dafür noch mit Ideen und Energie. Danach folgte das Popfließband mit ausgetüftelten Techniken, die zumindest mich eher zum Gähnen brachten. Langeweile klingt auch besser aufgenommen nicht spannender.
Zurück zu unseren beiden jungen Männern mit Aufbruchsstimmung, Ideen und Feeling: Dennis Hudson agiert hauptsächlich als Olms und White Christian Male. Für musikalische Ausflüge in andere Gebiete nutzt er dann weitere Projektnamen. Gesamt gesehen, steht er gerade vor seiner 30. (dreißigsten) Veröffentlichung in nur 5 Jahren. Dante Palomba musiziert als Casuistry und mit 9 Releases innerhalb von 2 Jahren hält er ein ähnliches Tempo. 
/ Weblink: Olms / White Christian Male
/ Weblink: Casuistry


Was wählt man da als Beispielsongs? Bei Casuistry nehme ich zuerst einmal ganz einfach den aktuellen EP-Titeltrack "Elan Vital" für den Bereich `synthgestützter Post Punk´

 


Bei Olms greife ich auf einen älteren Synthpop Track namens "Share The Same Madness" von 2013 zurück. Das soll nichts über die Qualität seiner aktuelleren Veröffentlichungen sagen. Clips mit bewegten Bildern auf Youtube sind - im Gegensatz zu seinem Audio-Output im Bandcamp - einfach selten.





Hier nochmals Casuistry, diesmal mit einem clubbigen und EBM-geladenen Track: "Infidel" von seinem Album "Trudge" aus dem Februar diesen Jahres.
 




Und zum Abschluss des kleinen Detroit Specials auch noch einmal Dennis Hudson, diesmal als White Christian Male mit seinem Track "Where Did You Go?", welcher sich irgendwo zwischen Synthpop und Futurepop bewegt.






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Carlos Martin aus dem spanischen Almería musiziert bereits seit 2007 mit elektronischen Mitteln unter dem Namen Mynationshit. Das erste Material, das er für eine Aufnahme wert befand, erschien dennoch erst in 2012. Seitdem meldet er sich jährlich mit mindestens einem Minialbum oder - wenn es mal nicht reicht - in Form von Split-Veröffentlichungen, gemeinsam mit anderen Künstlern zurück. Die Ende 2014 so entstandene geteilte Single mit dem Act We Are The Hunters war sein bisher erfolgreichstes Release und die Vinylausgabe war sehr schnell komplett ausverkauft. Im vergangenen Jahr hat er erneut gesammelt und aussortiert und diesmal reichte es sogar für ein kleines eigenes Album mit 7 Songs. "Malevolent Charmer" heißt es und ist als Vinyl und Digital Download erschienen. Seine Plattenfirma GH Records (Gradual Hate Records) startete mit dieser Veröffentlichung ihr neues Sublabel `Waste Editions´.
Das nenne ich einmal Understatement, denn "Waste" (Abfall) sind diese Aufnahmen nun wirklich nicht. Der Trend bei den Indie-Labeln geht ja leider in die entgegengesetzte, eher marktschreierische Richtung und großkotzig werden Alben des Frühjahrs bereits als Anwärter von kommenden Jahrescharts ins Rennen geschickt. Aber was soll’s, wir wären ja nicht hier, wenn uns Charts und Auszeichnungen interessieren täten. Uns soll es rein um den Musikgenuss gehen und da widmen sich Mynationshit dem Bereich Minimal Synth und Electro Ambient.
Der Einstieg in "Malevolent Charmer" ist vielleicht ein wenig arg ruhig geraten, aber nach zwei sphärisch-relaxten Landschaften mit Vocoderstimme wird dann das Tempo mit "Innocence And Correctness" erhöht und auch die Roboter verstummen kurzzeitig. Der Titelsong und der finale Track bilden dann noch weitere Höhepunkte. Fazit: Besser als ganze Paletten an anderem neuen Material, aber dennoch schade, weil ich mehr knackige Songs und weniger Vocodergesang erwartete. Zum Beispiel der Song "To Ask For The Moon" hat etwas von seinem guten 2013er Titel "Desert". Letzterer glänzte allerdings durch düsteren Sprechgesang, der zumindest mir persönlich erst einmal näher ist als spacig-verträumte Roboterstimmen. Daher habe ich hier zum Reinhorchen auch den Song mit Menschengesang gewählt, nämlich "Innocence & Correctness".




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Spätestens, wenn man sich als Künstler dem Bereich Weltmusik mit elektronischen Mitteln widmet, kann es so was von wurscht sein, in welchem Land genau, sich die Steckdose für die Gerätschaften befindet. Natalia Zamilska jedenfalls, zapft ihre elektrische Energie aktuell aus einer Wand in Warschau und das ebenfalls in Polen ansässige Label für Experimentalmusik `Mik.Musik´, veröffentlichte 2014 auch ihr Debütalbum "Untune" in CD-Form.
Zwei Jahre hat sie am Folgewerk "Undone" getüftelt, für das sie dann auch gleich ein eigenes Label ins Leben rief, das sich Untuned Records nennt. Der Name wurde also an den Titel ihres Debütalbums angelehnt. Wenn man einen Draht zu Weltmusik und hypnotischen Perkussionsklängen hat und einem Industrial lieber als Ambient ist, könnte Zamilska eine echte musikalische Bereicherung sein. Um eine Schublade zu eröffnen und genauer zu beschreiben: Zamilska macht technoiden, teils noisigen Art Pop mit Weltmusik-Samples anstelle von Gesang. Der Track "Suffocation" erinnert durch die eingebauten Ethno-Chöre sogar ein wenig an SPK zu deren 1986er "Zamia Lehmanni" Zeit. Industrial Freunde sollten als Einstieg vielleicht den Titel "Ruin" wählen, da er weit kräftigere und krachigere Drumsounds enthält. Hier habe ich als Klangbeispiel den etwas neutraleren Track "Rise" gewählt. Der Weltmusik-Charakter wird mit ihm nicht gleich deutlich, da er etwas technoider gelagert ist, aber der Clip dazu ist ganz hübsch geworden.
/ Weblink:Zamilska 




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DaGeist ist ein Duo aus Lille in Frankreich und widmet sich elektronisch angehauchter Musik im Bereich von Wave bis Post Punk. Bereits seit 2008 musiziert man in wechselnden Besetzungen, aber erst im Dezember 2015 erschien das Debütalbum "40" in Eigenregie. Für einen repräsentativen Videoclip ließ man sich dann noch einmal drei Monate Zeit. Nun ist alles komplett und es fehlen nur noch die Hörer.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein 20-jähriger beim Betrachten des Videos etwas fragt wie "Waren die mal berühmt?" oder "Kennt man was von denen aus den 80ern?". "Nein", hieße die schlichte Antwort.
Die beiden sind einfach Spätzünder und so alt wie sie im Clip rüberkommen sind sie gar nicht. Ja, gut, man hätte vor der Videoaufnahme vielleicht mal zwei Tage schlafen und sich rasieren können.
Aber uns soll es ja in erster Linie um die Musik gehen. Was fällt also auf an "40"? Leider erst einmal negatives: Das Album hat einen ganz schlechten Rahmen. Damit meine ich nicht das Cover Artwork (Marke Schwattmagazin, Heftbeilage CD Nummer 679), sondern den rein musikalischen, äußeren Rahmen, also speziell den Opener und den finalen Song. Im Zwischenteil, von 2-7 ist dagegen alles gut: Cold Wave, Post-Punk, sehr wavig, entspannt und eher Richtung Pop ausgerichtet. Stets wird schon sehr dick aufgetragen, aber die Kurve vor dem endgültigen Schmalz wird genommen, bis dann beim besagten, finalen Track die Lenkung versagt. Na ja, anders herum gesehen, passt diese verträumt-kitschige Nummer dann wieder super zum Cover und man kauft keine Mogelpackung. Über das alberne Acidgequietsche, das der Gastmusiker vom italienischen Duo Blank in den Opener eingebaut hat, möchte ich mich gerade nicht aufregen. "Eine Prise Faderhead bringt den modernen Partyspaß" oder etwas ähnlich naives wird man sich schon dabei gedacht haben. Als täte jemand bei diesem Covermotiv nach Partysounds suchen ... Auch auffällig, man mag den "Israel"-Bass-Sound aus alten Siouxsie & The Banshees Tagen. Vielleicht wenig abwechslungsreich, verleiht aber immerhin das amtliche Prädikat Post Punk. Klingt alles gar nicht so wirklich positiv, also was suchen die hier? Tja, DaGeist haben etwas, was Bands die länger im Geschäft sind, meist leider nicht mehr zustande bekommen, nämlich einen Ohrwurm Und hier ist er:
/ Weblink: Dageist







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Oft laden die Minimal Synth und Synthwave Tracks von Ars Phoenix aus Florida zum Raten ein, an welchen 80er Song genau, dieser oder jener Part gerade erinnert. Mit dem Song "Thoreau Goes to Ferguson", den sie kürzlich für eine Benefiz-Compilation herausgaben, setzten sie noch einen drauf. Ich fragte mich, in welchen Song Twice A Man bereits ähnlich klangen, wohlgemerkt, während ich Ars Phoenix hörte.
Jonathan Glover ist der Kopf der Band, die schon oftmals Mitglieder wechselte. Erfolg wird dem momentanen Trio weder mit diesem Song, noch mit der gerade erschienenen, neuen Single beschieden werden, denke ich, denn zu oft wechselt man die Spur. Ich erinnere mich an die EP "Shinju" aus dem letzen Jahr. Sie startete großartig mit "Desiccation" und der Erinnerung an clubbige, unterkühlt-nüchterne Minimalelektronik der 80er. Dann folgte der Song "Minister Edwards" und ich zitiere meinen damaligen Gedankengang: "Haben die noch alle beisammen? Was hat denn diese belanglose Indiepop Nummer da jetzt zu suchen? Soll das eine EP sein oder klingen wie ein Various Artists Sampler?". Also, weiter abwarten und vereinzelte Glanzstücke bewundern, denn diese haben wirklich Beachtung verdient, wie ich finde, so wie hier die Story vom zivilen Ungehorsam in "Thoreau Goes to Ferguson".
/ Weblink: Ars Phoenix (Katalog)
/ Weblink: Ars Phoenix (Track)
 






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Emad Dabiri vom Projekt SΛRIN und der hier bereits einmal als Blush Response vorgestellte Joey Blush taten sich zusammen und sind nun Konkurs. Das klänge sehr befremdlich, wenn noch irgendwer diesen Begriff anstelle von `Insolvenz´ verwenden täte. Die beiden Musiker ergänzen sich gut und so geriet ihre erste EP auch genau wie erwartet: SΛRIN errichtet das mechanisch klingende Brutalo-EBM Gerüst und Blush responded mit seinen gewohnt düsteren, technoiden Synthattacken, ganz wie er sie auch gerade auf seinem neuen Album "Reshaper" zum Besten gibt.
"Burning Images" wird die Konkurs EP heißen und via Veleno Viola - dem noch recht neuen Label von Violet Poison - im Juni erscheinen. Hier von der EP der Track "Face The Target".
/ Weblink: Konkurs



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Der Name Niklas Kärreskog lässt dessen Stockholmer Herkunft bereits erahnen. Bereits seit 2005 agiert er als Keyboarder in zahlreichen Projekten und probierte von Synthpop bis Ambient so einiges aus. Seit 2014 betreibt er nun sein ganz eigenes Ding, dem er den Namen Person:A verlieh. Synthwave mit deutlich kühlem Einschlag ist seine aktuelle Passion. Zunächst instrumental und dann auch mit Gesang. Als ich vor zwei Jahren seinen Song "Escaping The Noise" hörte, fragte ich mich, warum er eigentlich erst jetzt zum Mikro greift. Genau eine solch kantig-trockene Stimme wirkt doch prima als Kontrast zu melodisch-melancholischen Keyboardlinien. Cold Beats Records aus Barcelona brachten gerade seine erste richtige Platte heraus. Eine Vinylscheibe mit acht Songs ist es geworden und trägt den Titel "Matters".
Auf seinem 2014er Digital-Debüt zeigte zum Beispiel der Titel "Vivre Sa Vie", dass er durchaus modernere, technoide Sounds zur Verfügung hat. Beim aktuellen Album setzt er aber nun komplett auf einfache Minimalelektronik und der Song "No Desire" weckte bei mir nicht nur wegen seines Titels Erinnerungen an die erste Second Decay Single "Killing Desire" von 1989. Zum Kennenlernen, habe ich hier das eher relaxte "Carry Thy Lies" ausgewählt.

/ Weblink: Person:A 

 




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Der abschließende, gewohnt etwas strangere Clip führt uns diesmal in homoerotische Gefilde. Zu Zeiten des 1980er Al Pacino Thrillers "Cruising" sprach man noch völlig wertungsfrei und schön eindeutig von "Lederschwulen". Vom Outfit her sogar recht populär, waren sie durch entsprechende Tänzer bei den Village People und Frankie Goes To Hollywood. Der heutige, moderne Name dieser Leidenschaft ist mir nicht bekannt, aber ich tippe auf irgendwas mit BDSM. So weit so gut, ein alter Hut. Wenn nun aber jemand in einem solchen Outfit gar keine populären Tanzmoves vorführt und dann noch kompromissloser Industrial-Noise von Plack Blague den Hintergrund bildet, dann hat das schon was von “Snuff Movie“, finde ich. Auf mich wirkt der Clip jedenfalls nicht wie "Ich experimentiere für das Video einmal ein wenig mit Fetischen", sondern hat eher den "Ich glaub, der meint das ernst!" - Effekt. Selbst, wenn einem der “Düsterkrach“ auf den Keks geht, schaut man weiter, weil man will wissen, was da nun überhaupt abgeht. Also gesamt gesehen, eine gelungene Kombination von Musik und Bild, weil sie funktioniert und wirkt. Aus Lincoln, Nebraska kommt der Mann und nennt seine extrem noisige EBM Musik selbst `Satanic Disco´. Seine Tonträger kommen leider eher zäh und arg trashig rüber. Nichts gegen experimentelle Musik, aber für mich klingt das zu oft nach "mit Musiksoftware fürs Handy herumprobiert", was man ja auch gut selbst praktizieren kann. Aber "The Touch" plus Bildmaterial hat dann schon was, zumindest was stranges. Der eigentliche Track startet nach einem etwas längeren Intro bei ca. 1:10.
/ Weblink: Plack Blague





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